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Mahayana Buddhismus | |
zitiert aus "Buddhistische Bilderwelt" von Hans Wolfgang Schumann Mahayana (= Großes Fahrzeug) heißt der Buddhismus der zweiten Entfaltungsphase zwischen 100 v.Chr. und 300 n.Chr. Ihm gegenüber steht der Hinayana-Buddhismus (= Kleines Fahrzeug), der ursprünglich mit der Lehre des historischen Buddhas entstanden ist. Der Hinayana Buddhismus sieht das Leben als Vielzahl von nicht-ewigen Daseinsfaktoren, die sich zu Kombinationen, d.h. Personen und Dingen zusammenschließen, neue Daseinsfaktoren bedingen und bald wieder verfallen, um den neuen Daseinsfaktoren Platz zu machen. Ein Substrat dieses naturgesetzlichen Prozesses, ein Ding an sich in oder hinter den Dingen, ein Absolutes hatte der frühe Buddhismus bestritten. Die Person galt ihm als bar jeder Seele, also ohne Substanz, kurzum als leer. | |
Die Entwicklung des Mahayana-BuddhismusVon der Basis dieser Auffassung aus vollzogen buddhistische Denker, beginnend im 1. Jahrhundert vor Christus, einen Sprung zu neuen philosophischen Ufern. Ihre Gedanken sind in der Prajnaparamita-Literatur niedergelegt, die im 2. Jahrhundert nach Christus von Nagarjuna zum Madhyamika-System präzisiert wurden.Wenn alle Wesen, so argumentieren die Bücher der Transzendenten Weisheit (Prajnaparamita), durch das Fehlen einer dauerhaften Seele "leer" sind, dann ist die "Leerheit" ihr Wesenskern. Jede Suche nach dem, was an einem Wesen von Dauer ist, führt letzlich zu dieser Leerheit. Nicht entstanden und daher ewig, kein faßbares Etwas und doch real, besitzt die Leerheit alle Eigenschaften oder Nicht-Eigenschaften, die wir von einem Absoluten erwarten. Die Leerheit ist somit als das Absolute (tattva), als die Soheit (tathata) anzusehen. Der Wechsel von der adjektivischen zur substantivischen Ausdrucksweise bedeutete philosophisch eine Wertumkehrung. "Leer" war im frühen Buddhismus ein abwertendendes Urteil, die "Leerheit" hingegen, die im Mahayana-Buddhismus als das Absolute erkannt wird, ist ein positiver Wert. Die Substantivierung des Adjektivs "leer" war für das Mahayana ungemein folgenreich und machte alle weiteren Gedankengänge erst möglich. Die Leerheit, so spannen die Mönchsphilosophen den Denkfaden fort, ist unteilbar, denn weil sie nicht körperlich ist und alles durchdringt, läßt sie sich nicht in Stücke zerlegen. In jedem von uns ist dieselbe eine Leerheit und folglich sind wir alle in unserer Leerheit identisch: Alles Lebende ist in seinem innersten Wesen ununterscheidbar eins. - Mit dieser Überzeugung trat der Mahayana-Buddhismus als ein Monismus ins Leben. Die monistische Grundphilosophie hatte Konsequenzen auch für den Erlösungsweg des Mahayana. Denn da die in jedem Menschen beheimatete Leerheit das Absolute ist, ist sie auch Erlöstheit: Absolutes und Erlöstheit sind dasselbe. Die Menschen brauchen die Erlösung nicht langwierig zu erarbeiten, wie der Hinayana-Buddhismus gelehrt hatte; Sie sind im Grunde erlöst, nur sind sie sich dessen nicht bewußt. Sie tragen einen Schatz mit sich herum, ohne es zu wissen, und folglich, ohne aus ihm Nutzen zu ziehen. Ist für die Erlösung nicht allein der Besitz des Absoluten = Erlöstheit, sondern das Wissen von der eigenen Erlöstheit vonnöten, so ist klar, daß der Weg zur Erlösung durch das Tor der Erkenntnis führen muß. Die Erlösung von samsarischen Leiden wird bewirkt, indem man die essentielle Erlöstheit ins Tagesbewußtsein hebt und damit die befreiende Weisheit (prajna) gewinnt. Der Unwissende und Unerlöste leidet unter den Fährnissen der empirischen Welt, reagiert auf sie mit karmischem Handeln und legt dadurch den Samen zur Wiedergeburt. Dem Erlösten indes ist bewußt geworden, daß das Leiden dem Bereich der Erscheinungen angehört und sein wahres Wesen nicht tangiert. Er handelt frei von Gier und Haß, so daß er sich nicht erneut an den Kreislauf der Wiedergeburten bindet. | |
Zur gleichen Zeit, da diese Gedanken sich entfalteten und erstmalig formuliert wurden, wandelte sich die Auffassung von der Natur des Buddha: der historische Buddha Gautama wurde zu einer transzendenten Wesenheit hochgesteigert. Viele Mahayana-Anhänger fragten sich: Hätte ein Mensch die Lehre so weit verbreiten, hätte ein Mensch so vielen Wesen Erlösung bringen können? War es nicht sinnvoller anzunehmen, daß Gautama nur die irdische Erscheinungsform eines transzendenten Buddha, eine Personifikation des Absoluten war? | |
Der historische Buddha Gautama war mit achzig Jahren ins Nirvana eingegangen - er ist somit
erloschen, unansprechbar und außerstande, erlösungswirksam einzugreifen. Erlösungshilfe
erwartet der Mahayana-Bekenner deshalb von den "Transzendenten Buddhas", die zeitlos und
über Naturgesetze und Weltzwänge erhaben sind. So entwickelte sich ein Glaubensbuddhismus,
der sich vor allem auf den Transzendenten Buddha AMITABHA richtet. Amitabha ("Von unermeßlichem Glanz") ist der Herr eines Zwischenparadieses, nämlich des im Westen gelegenen Reinen Landes Sukhavati, und kann demjenigen, der sich ihm überantwortet, die Wiedergeburt dort möglich machen. Allein die Gnade Amitabhas führt nach Sukhavati, durch karmisches Tun ist das Buddhaparadies nicht zu erreichen. Der Heilsucher ist aber mit dem Entstehen im Reinen Lande Sukhavati nicht erlöst, den Amitabhas Reich ist nicht das Heilziel und kein Ersatz für Nirvana. Es ist nur ein Zwischenparadies, in dem der Erlösungssucher die günstigen äußeren Bedingungen findet, die er braucht, um die an den Wiedergeburtenkreislauf bindende Einflüsse Gier, Haß und Unwissenheit abzulegen und die erlösende Weisheit zu entwickeln. Sobald dies geschehen ist, geht er vom Sukhavati aus ins Nirvana ein. Bis hierhin war es ausschließlich die eigene Erlösung, die angestrebt wurde. Etwa im ersten Jahrhundert nach Christus gab es eine breite Bewegung, für die dies ein zu enges Ideal war. War es nicht egoistisch, sich nur um die eigene Befreiung zu kümmern und die anderen Wesen im samsarischen Leiden zurückzulassen? War es nicht kaltherzig, ein Heiliger werden zu wollen, ohne an der Erlösung der anderen mitzuwirken? Das Leitbild des Bodhisattva entstand, der, von Mitleid bewogen, sich rückhaltlos für andere einsetzt. Während im Prinzip jeder Mensch, der das Wohlergehen anderer über sein eigenes stellt, als Bodhisattva bezeichnet werden kann, wird der Begriff meist für die "Transzendenten Bodhisattvas" gebraucht: Wesen, die die Heiligkeit und Erlösung verwirklicht haben, ins Nirvana aber erst eingehen, wenn alle erlöst sind. | |
Aus Mitleid bleiben sie freiwillig in der Welt, um den Leidgequälten ihre Leidensbürde
abzunehmen. Die transzendenten Bodhisattvas sind aufgrund ihrer Weltüberwindung nicht mehr
durch Naturgesetze eingeschränkt. Sie sind allgegenwärtig und leicht erreichbar, können
sich vervielfachen und jede Gestalt annehmen; man kann sie jederzeit anrufen. So
unerschöpflich ist ihr Schatz an religiösem Verdienst, daß sie jedem Bedürftigen davon
abgeben können. - Die Idee der Verdienstübertragung, die dieser Vorstellung zugrundeliegt, stellt
gegenüber der Hinayana-Lehre, derzufolge karmisches Verdienst nur dem Erwerber selbst zugutekommt,
eine weitere Neuerung dar. | |
Eine Weiterbildung im Sinne eines philosophischen Idealismus erfuhr der Mahayana-Buddhismus im
3./4. Jahrhundert durch die Vijnanavada-Schule, die von den Mönchsphilosophen "Asanga" und
"Vasubandhu" ausgestaltet wurde. Sie knüpft an der Erkenntnis des historischen Buddhas an,
daß jeder Mensch sich entsprechend seinen Sinneseindrücken seine eigene Weltvorstellung
macht, und daß es diese subjektive Welt ist, mit der er fertig werden muß. Die Vijnanavada-Schule
setzt diesen Gedanken fort. Wenn, so folgert sie, unser geistiges Bild von den Dingen die einzige
Realität und eine objektive Welt nicht erkennbar ist, dann können wir kurzerhand sagen, daß die
Dinge Bewußtsein sind. Die Welt ist Nur-Geist (cittamatra). Das Leiden, dem wir uns ausgesetzt
fühlen, ist Leiden aus der Einbildung und kann durch Änderung unserer Einstellung gemildert
und aufgehoben werden. Ziel des Strebens muß es sein, den karmisch bedingten Ideationsprozess im
eigenen Kopf zu beenden. In der absoluten Soheit = Leerheit zu verweilen, ohne sich im Gedanken
eine neue Welt zu erspinnen, das ist Erlösung. Die Vijnanavada-Schule hat der bildenden Kunst keine Themen geliefert, wurde aber der Wegbereiter für die dritte Form von Buddhismus, das Tantrayana, innerhalb dessen die Vajrayana-Schule besondere Beachtung verdient. Der Vijnanavada hatte die Kreationskraft des Denkens negativ bewertet, da der unerlöste Mensch sich im Geist eine Welt des Leidens schaffe und somit sein Leiden selber erzeuge. Die Vajrayana-Schule des Tantrayana-Buddhismus, die vom 3.Jh. n. Chr. an entstand, wendet den Gedanken ins Positive. Wenn der unkontrollierte Geist (citta) es bewirkt, Leiden hervorzubringen, dann muß der geschulte und richtig eingesetzte Geist imstande sein, Transzendente Wesenheiten als Erlösungshelfer entstehen zu lassen. Tatsächlich ist der Vajrayana-Adept (yogin oder sadhaka) überzeugt, mit dem Denken Sichtbarwerdungen des Absoluten ins Dasein rufen zu können: Durch einen Akt der geistigen Verwirklichung (sadhana) ideiert, schafft er sich als Wunschgottheit (istadevata, tib.: yidam) ein Ideationswesen (sadhita), das ihm als Schützer und Erlösungshelfer jederzeit präsent ist. Der Sadhita besitzt subjektive Realität und ist nur demjenigen sichtbar, der ihn ideiert hat, vermag ihm aber auch physisch zu helfen. Durch die Ideation eines Sadhita hat der Adept einen Beistand gewonnen, aber noch nicht die Erlösung erreicht. Das für die Befreiung aus dem Wiedergeburtenkreislauf erforderliche Heilswissen geht ihm im Akt der "Ich-Machung", in welchem er sich mit dem Sadhita erlebnishaft identifiziert: Die Heilsqualitäten und das Erlöstheitsbewußtsein des Sadhita strömen auf ihn über. Die Identität mit dem Absoluten, die nie eigentlich unterbrochen, aber in Vergessenheit geraten war, stellt sich damit für den Adepten in seinem Daseinsgefühl wieder her. | |
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